Finanzthriller
Downgrade
Tom Götz, Risikomanager einer Investmentbank, führt das unspektakuläre Leben eines der vielen Angestellten in den Bürotürmen Frankfurts. Eines Tages wird er unerwartet in die elitäre Mergers&Acquisitions Truppe seiner Bank berufen, um an einem großen Deal mitzuwirken. Zunächst begeistert von der Chance, in den inneren Zirkel der Macht zu gelangen, lernt er bald die skrupellose Vorgehensweise im Topmanagement kennen, bei der Tausende von Arbeitsplätzen nichts bedeuten im Wettkampf um den höchsten Bonus.
Tom beginnt, den Sinn seiner Arbeit und das System in Frage zu stellen. Umso mehr, als er Roja kennenlernt, eine attraktive Journalistin, die ihn mit dem geheimnisvollen Moralaktivisten Anders Neville bekannt macht, der sich als Anführer einer internationalen Vereinigung gegen die zunehmende Globalisierung und die Macht des Geldes wendet. Tom muss sich entscheiden, wer er ist und wo er hingehört. Das erste Mal in seinem Leben setzt er alles auf eine Karte.
Leseprobe
Videokonferenzen waren ihm zuwider. Es war nicht die Technik, aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt die Mitarbeiter zusammen zu bringen und damit Transparenz zu schaffen, die ihm missfiel. Die stets perfekt organisierten Konferenzen in der obersten Etage der deutschen Investmentbank in der Finanzmetropole am Main hatten nur selten ein klar formuliertes Ziel und so konnte niemand, der nicht Teil dieses Zirkels war, verstehen, worum es bei diesen Treffen im Kern letztlich ging. Die Anwesenden wussten jedoch sehr genau, was von ihnen erwartet wurde. Die überwiegende Mehrheit hatte Jahre lang um eine Einladung kämpfen müssen und während dieser Zeit die Launen wechselnder Vorgesetzter ertragen, um in deren Windschatten Stufe für Stufe der verzweigten Hierarchie des Finanzinstitutes nach oben zu klettern. Und während sie nun den Blick über die Dächer der Stadt genießen durften, saßen die anderen, die es nicht geschafft hatten, in der Kantine und lästerten über sinnlose Videokonferenzen.
Thomas »Tom« Götz war einer der Teilnehmer. Allerdings hatte er nicht den klassischen Weg der Hierarchie beschritten, sein Charakter hätte bei dieser zeitraubenden Prozedur niemals mitgespielt. Es fiel ihm schwer, sich über einen längeren Zeitraum so zu verstellen, dass er in das jeweils angesagte Schema passte. Entweder war man bereit, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen oder man hielt sich zurück. Der Kompromiss war für Tom kein Instrument, das er besonders gut beherrschte. Mit seiner Philosophie lebte er lange Zeit sehr gut. An der Universität begannen sich allerdings die Voraussetzungen zu verändern und das Leistungsprinzip trat in den Mittelpunkt, ein Prinzip, das er in seiner Jugend nicht kennen gelernt hatte. Nun begann er Abstand zu halten, beobachtete und analysierte den Wettbewerb seiner Kommilitonen um die Meinungs-führerschaft. Ein stiller Streit, bei dem jeder für sich allein kämpfte und sich am Ende eine Hierarchie herauskristallisierte, in der jeder seinen Platz zugewiesen bekam.
Tom schloss sein Studium ab, begann zu arbeiten und bemühte sich weiterhin mehr oder weniger erfolgreich von Hierarchien fernzuhalten. Tom Götz arbeitete im Risiko Management, einer jungen aber inzwischen viel beachteten Disziplin in der Finanzwirtschaft. Er hatte ein Modell entwickelt, mit dem man Risiken, die durch Transaktionen der Bank entstanden, quantifizieren konnte. Sein Modell orientierte sich dabei nicht ausschließlich an Daten der Vergangenheit, sondern machte es möglich, prognostizierte wirtschaftliche Entwicklungen in seinen Berechnungs-algorithmus zu integrieren.
Heute war Götz stolz darauf, dabei zu sein, denn auf den Fluren der Bank wurde seit Tagen über nichts anderes gesprochen, als über diese Videokonferenz. Das schlechte Gewissen der Bank war stets beruhigt, wenn Mitarbeiter des Risiko Managements an Sitzungen teilnahmen, in denen bonusgetriebene Investmentbanker ihre neuesten Ideen zum Besten gaben, ohne ein Sicherungsnetz über den Boden gespannt zu haben.
Um den ovalen Tisch im Konferenzraum war das Testosteron fast spürbar. Die Anwesenden waren aufs Äußerste gespannt und jederzeit bereit sich verbal zu verteidigen, denn wenn man in diesem Kreis mit Fragen konfrontiert wurde, existierten nur zwei Reaktionsmuster, die darüber entschieden, ob man in der Hierarchie aufsteigen durfte, oder ob man eine zusätzliche Strafrunde drehen musste.
Zum einen gab es die Fachfrage, Fluch und Segen zugleich. War man imstande eine Fachfrage knapp, verständlich und gleichzeitig umfassend zu beantworten, vielleicht sogar in einen Kontext zu packen, dann konnte man sich der Zustimmung der Anwesenden sicher sein und galt für die nächsten Minuten als fachlich kompetent. Dies allerdings nur solange, bis andere Beiträge die eigene Antwort aus den Köpfen der übrigen Teilnehmer verdrängt hatten.
Zwei Kennzeichen spielten bei der Beantwortung der Fachfrage eine wichtige Rolle; das schauspielerische Talent und die fachliche Kompetenz. Oft hatten die Anwesenden von der speziellen Thematik nicht die geringste Ahnung, aber da es nicht üblich war, dies an die große Glocke zu hängen, obwohl es allen anderen Anwesenden genauso ging, hielt man sich im allgemeinen mit Fragen zurück und konzentrierte sich auf eine distanzierte Körperhaltung. Die zweite, wesentlich offensivere Variante war der ungefragte Vorschlag. Für diese Besonderheit der Selbst-darstellung musste man entweder sehr mutig sein, oder sich sicher unter dem Gefieder eines der anwesenden Vorgesetzten wähnen. Gelang dieser Vorstoß jedoch, dann galt es als sicher, dass man in den nächsten Tagen von Kollegen, deren Gesicht man nur im Zweifelsfalle kannte, in der Kantine unterwürfig gegrüßt wurde.
Götz versuchte, sich seine Anspannung nicht anmerken zu lassen. Von den etwa zwanzig Anwesenden kannte er die meisten. Die langjährigen Bereichsleiter, die bereits seit Jahrzehnten zum Inventar der Bank gehörten, waren nur pro-forma eingeladen. Es würde mehr Zeit und Aufwand kosten, sie im Nachhinein darüber hinweg zu trösten, dass sie nicht dabei waren, als sie von Anfang an einzuladen. Von ihnen ging keine Gefahr aus, denn von den modernen Kapitalmarktgeschäften verstanden sie wenig. Neben Raimund Kreuzer, dem Leiter der Organisation, einem Banker der alten Schule, saß die eigentlich interessante Truppe. Smarte, hungrige und moralfreie Investmentbanker. Mergers&Acquisitions Experten, die sich mit dem Kauf und Verkauf von Unternehmen beschäftigten. Jeder von ihnen war hervorragend ausgebildet und stets bereit, sich dort zu verkaufen, wo in kurzer Zeit am meisten Geld zu verdienen war. Sie erbauten Brücken und zogen weiter.
Falls die Brücken einstürzten, waren sie bereits nicht mehr greifbar, um Rechenschaft abzulegen.
Eingerahmt von seiner Truppe saß der Leiter der M&A Abteilung am Kopfende des Konferenztisches.
Karl Varius, erfolgreicher Spezialist für Kauf und Verkauf von Finanzinstituten. Jurastudium in Heidelberg und Harvard, danach Direkteinstieg bei einer US-amerikanischen Investmentbank an der Wallstreet, anschließend Führungskraft beim deutschen Marktführer und schließlich mit viel Geld abgeworben zur deutschen Investmentbank.
Varius war Mitte vierzig und besessen von seiner Arbeit. Darüber hinaus hatte er einen exklusiven Automobil-geschmack. Am Tag seines Arbeitsantritts bei der deutschen Investmentbank musste er feststellen, dass das tiefer gelegte Fahrwerk seines Ferraris die Steigung der Rampe des Parkhauses der Bank nicht bewältigte. Kurzerhand wurde die Rampe angepasst.