Jeder und die Anderen

Entwicklungs- u. Gesellschaftsroman

Jeder und die Anderen

Sein Durchschnittsleben langweilt ihn, es beginnt ihn zu erdrücken. Er weiß, er muss etwas wagen, denn nur in der Ungewissheit wird er seine Wahrheit finden. Er entschließt sich, zu einer Reise aufzubrechen. Sein Weg über Frankfurt nach Berlin führt ihn durch die unterschiedlichen Milieus der Gesellschaft, wo er auf Menschen trifft, die ihre Wahrheit bereits gefunden haben. Er erkennt, dass er sich den Risiken des Lebens stellen muss, um seine Wahrheit zu finden. Wird es ihm gelingen oder ist es bereits zu spät und sein Leben findet ohne ihn statt?

Leseprobe

»Und wat machste jetzt in Berlin? Urlaub?« »Ich suche die Wahrheit«, antworte ich, weil mir dieses Wort in dieser Sekunde in den Sinn kommt, um sich gleich darauf wieder in einem Nebel aus bizarren Gedanken aufzulösen. »Du suchst nach de Wahrheit?«, murmelt sie: »Dit is’ jut, ick bin ooch uff de Suche nach de Wahrheit.« Sie sieht mich an: »Ick bin uff de Suche nach de Wahrheit, solang ick denken kann«, sie überlegt: »Aber sind nich alle Menschen uff de Suche nach de Wahrheit?« Ich bereue, das Wort in den Mund genommen zu haben. Sie schaut mich mit großen Augen an, wartet auf eine Antwort. Warum musste ich dieses verdammte Wort auch aussprechen? Ich sage nichts, warte und hoffe, dass ein neuer Gedanke das Wort aus ihrem Kopf verjagt, doch den Gefallen tut sie mir nicht. Ich mag sie, weil sie aus irgendeinem Grund an mich glaubt, vielleicht weil ich fremd und unterhaltsam für sie bin, weil ich mich mit kleinen Flaschen Cognac mit Orangengeschmack auskenne, oder einfach nur, weil ihre Freunde gerade nicht am Alex’ sind. Ich habe das verdammte Wort in den Mund genommen, wir haben zusammen Zombiegras geraucht, wir sind jetzt so etwas wie Freunde, sie hat das Recht auf eine Antwort. »Ja«, sage ich und nicke. »Ja«, rufe ich lauter. »Ja«, schreie ich aus voller Kehle. Die Leute schauen zu uns herüber. Sie lacht. »Ja«, flüstere ich: »Jeder Mensch ist auf der Suche nach der Wahrheit«, und in Gedanken füge ich hinzu: Mehr oder weniger bewusst. Sie nickt, ist zufrieden, das ist die Antwort, die sie hören will. Wieder schweigen wir, doch meine Gedankenleichtigkeit ist verflogen. »Wat passiert, wenn wa de Antwort finden?«, fragt sie mich plötzlich. Ich muss lachen. Ein wenig irritiert schaut sie mich an. »Ich weiß nicht, ob es die eine Antwort überhaupt gibt«, sage ich rasch, um ihre Gefühle nicht zu verletzen. »Aber et muss doch ne Antwort jeben«, beharrt sie. Ich sehe in ihren Augen, wie das Thema in ihr brennt. Ihre Jugend wähnte mich in trügerischer Sicherheit, von dieser Art Fragen verschont zu bleiben. Nun ist es zu spät. Aber wie soll ich einem Teenager in wenigen Worten erklären, womit ich mich schon mein ganzes Leben beschäftige? Wie soll ich ihr erklären, dass Philosophen wie Sokrates, Platon, Aristoteles, Konfuzius, Kierkegaard, Hegel, Nietzsche, Hannah Arendt, Sartre, Camus und all die anderen, seit jeher auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind? Wie soll ich ihr erklären, dass alle zentralen Fragen des Lebens um Themen wie Vernunft, Emotionen, Erfahrungen und Widersprüche kreisen, ohne dabei etwas Eindeutiges hervorzubringen?

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9,99 €
Paperback
196 Seiten
13,5 x 21,5 cm
ISBN 9-783756-213856
2022

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